„Mir geht immer das Halleluja durch den Kopf!“ Es ist kurz vor Ostern, Corona-Zeit. Kein Chorgesang, keine Messen, keine Soli. Als ich Ines Happle-Lung beim Einkaufen treffe, ist sie ganz traurig. Sonst hat sie immer mit dem Münsterchor das Halleluja in der Ostermesse gesungen, dieses Jahr ist alles anders. Die Musik ist trotzdem da. In ihrem Kopf.
„Musik ist die Sprache der Engel“ lautete der Titel des Adventskonzerts 2019, das Ines gemeinsam mit anderen Musikern im Münster organisiert hat. Dieses Zitat von Thomas Carlyle passt gut zu ihr. „Ich bin bekennende Katholikin“ sagt sie, auch wenn sie nicht mit allem einverstanden ist, was in der Institution Kirche geschieht. Ihr Vater war Unitarier, Mitglied einer Freikirche, für die Gewissensfreiheit und eigenständiges Denken besonders wichtig sind. Er war Lehrer, sehr belesen und philosophisch gebildet. Ihre Mutter hat schon Anfang der 70er Jahre begonnen, als Religionslehrerin zu arbeiten, mit ganz neuen Methoden. „Das war damals eine kleine Revolution.“ Am Frühstückstisch wurde bei Familie Happle immer viel diskutiert. Das hat Ines geprägt. Sie ist jemand, der die Dinge hinterfragt.
Dennoch geht sie gern zum Gottesdienst, überhaupt in Kirchen. „Hier spürt man Jahrhunderte menschlicher Gegenwart“, ist sie überzeugt, „das tut der Seele gut.“
So war sie auch schon mehrfach mit der Reichenauer Pilgergruppe auf dem Jakobsweg unterwegs.
In einem Blog-Beitrag zum „Singen im Mai“ hat sie mit Matthias Graf und Armin Okle ein wunderschönes Marienlied für mich gesungen.
Nur fehlt ihr bei der Kirche manchmal der Bogen zur Gegenwart. In ihrem Beitrag zum Maigottesdienst war es ihr wichtig, auf Maria als Vorbild für die Frauen hinzuweisen. Und hier kommt das politische Engagement von Ines Happle-Lung ins Spiel. Dass die Frauen in vielen Bereichen immer noch unterrepräsentiert sind, stört sie gewaltig. Als bei einem Seminar nur männliche Referenten auftreten sollten, hat sie sich geweigert, hinzugehen und ein Protestmail an den Veranstalter geschickt.
Schon als junge Frau wurde sie Mitglied im BUND und bei den Grünen.
Auf der Reichenau hat Ines Happle-Lung die Freie Liste Natur mitgegründet und wurde gleich in den Gemeinderat gewählt. Sie war mit 25 Jahren die einzige Vertreterin ihrer Fraktion. Vor allem am Anfang war das sehr schwierig. Wenn es zum Beispiel um Öffnungszeiten von Kindergärten ging, die besser gestaltet werden sollten für arbeitende Frauen, gab es einige Räte, die der Meinung waren, dass Frauen doch eigentlich ohnehin heim an den Herd gehörten.
30 Jahre lang hat sich Ines im Rat eingesetzt für Veränderungen, aber auch für das Bewahren der natürlichen Landschaft auf der Reichenau. Sie liebt die Insel, vor allem die Hochwart mit ihrem wunderbaren Rundum-Blick.
„Aber im Rat fehlt oft der Mut, auch mal Nein zu sagen“, findet sie. Das war natürlich vor allem in der Baupolitik schwierig. So hat sie sich zum Beispiel gegen „Lidl“ auf dem Festland ausgesprochen. Sie hätte dort gerne eine Markthalle für heimische Produkte gehabt, mit Café und Touristinformation, eine Art Entrée für die Insel.
Dafür hat sie ihre Meinung revidiert, was den Supermarkt auf der Insel anbelangt. Inzwischen sieht sie „Nahkauf“ als gute Alternative zum Discounter Lidl. Sie ist für kleine regionale Strukturen, ein Trend, der jetzt langsam wieder in Mode kommt, aber viele Jahre war es anders. Außerdem setzt sich Ines für den öffentlichen Personennahverkehr und alternative Verkehrsmodelle ein.
Ines konnte sich nie verbiegen, hat immer ihre Meinung geäußert. „Dafür musste ich mir an Fasnacht viel anhören!“ sagt sie. Manche Leute haben die Straßenseite gewechselt, wenn sie kam, dabei hat sie immer betont: „Wir müssen trennen zwischen Freundschaft und politischem Engagement.“
20 Jahre lang saß sie im Kreistag und hat sich auch hier für die Belange von Natur und Umwelt eingesetzt.
Ines Happle-Lung ist trotz des Namens eine alteingesessene Reichenauerin. Ihre Großmutter war eine verheiratete Blum, geborene Deggelmann. Reichenauerischer geht nicht.
Ines hat diese Oma sehr geliebt. „Sie war ein Herzensmensch!“ Anna Blum war außerordentlich kommunikativ und schrieb Gedichte, sogar ein kleiner Gedichtband ist daraus entstanden.
Die Großmutter hatte einen großen Garten und gestaltete immer den Blumenschmuck für die Madonna bei den Prozessionen. „Die Erinnerung an diesen Duft macht mich heute noch glücklich“, sagt Ines.
Überhaupt Düfte. Sie sind ein wichtiger Träger für Erinnerungen. Das war einer der Gründe, warum Ines mit ihren Kindern immer Weihnachtsplätzchen gebacken hat, 15 bis 20 verschiedene Sorten. „Die Kinder sollten sich immer an den Duft erinnern und ihn mit der Familie verbinden.“ Heute gibt es nicht mehr ganz so viele Sorten, aber Ines ist immer noch eine starke Bäckerin. Das hat sie von ihrer Mutter gelernt. Die war immer sehr achtsam mit Lebensmitteln. Alles, was sie tat, hat sie mit Liebe und Freude gemacht. Ines ist ihr dafür dankbar. „Was hat sie mir mitgegeben!“
Ines hat sowohl die Großmutter als auch ihre Mutter gepflegt. Als gelernte Krankenschwester fiel ihr das nicht schwer. Dabei hatte sie zunächst als Verwaltungsfachangestellte angefangen. Aber sie war nicht glücklich in diesem Beruf, wollte lieber mit Menschen zu tun haben. So hat sie parallel zum Job am Wochenende im Altenheim im Gütle gearbeitet, eine Art Praktikum gemacht. „Das hat mich erfüllt!“ Nicht einmal kotverschmierte alte Damen konnten sie abschrecken. Sie hat sich an der Krankenschwesternschule beworben und dank ihres Einsatzes im Altenheim einen Platz bekommen. Nach 37 Jahren in diesem Beruf sagt sie: „Es ist immer noch das Richtige für mich.“ Was ihr jedoch immer mehr zu schaffen macht, ist die Unterfinanzierung vieler Bereiche und der Pflegenotstand. Die Pflegekräfte sind oft überfordert, und manchmal kann Ines nicht schlafen, weil sie Angst um ihre Patienten hat. „So kann man auf Dauer nicht arbeiten! Ich bin damals mit anderem Anspruch angetreten.“ Doch auch hier hält sie nicht still, wendet sich in Briefen an den Landrat und die Direktion. Ob es etwas nützt, weiß sie noch nicht.
Trost findet sie bei der Familie, ihrem Mann Robert, den sie kennt, seit sie 20 Jahre alt war, bei ihren Kindern und Enkeln. Und in der Musik. Auch diese Begabung liegt in der Familie. Ihr Vater spielte Klavier und brachte sich selber das Orgelspielen bei, die Mutter sang Soli im Mittelzeller Chor. Ines lernte Querflöte und Gesang. Dabei wurde sie immer von Profis unterrichtet. Auch heute noch schaut sie nach guten Lehrern, damit sie ihr Niveau halten kann. Der Vater fand, dass beim Musikunterricht jede Mark gut angelegt sei. Seine Lebensphilosophie lautete: „Musik und Sport kann man im Leben überall brauchen.“
Und daran hat Ines sich gehalten. Schon als Kind war sie ein gute Ausdauersportlerin, lief nach Markelfingen und zurück. Die Blasen an den Füßen waren ihr egal. Bei einem örtlichen Wettbewerb erreichte sie Platz 3. Die Großmutter war unglaublich stolz auf sie, als sie die Nachricht im Umgebot las. „Ich hatte nicht den Mut, ihr zu sagen, dass es nur drei Teilnehmer in meiner Altersklasse gab“, lacht Ines.
Heute hat sie allerdings mehr Mühe mit Blasen. Zum Beispiel bei ihrer Pilgertour!
Ihre große Leidenschaft ist die Querflöte. Mit 10 Jahren hat Ines angefangen zu spielen, mit 14 ist sie in das UHO, das Unterhaltungsorchester Reichenau, eingetreten. 41 Jahre spielte sie im Orchester.
„Die Musik kommt für mich gleich nach der Familie“, sagt Ines. Und sie ist traurig, dass man wegen Corona momentan nicht mehr gemeinsam Musik machen kann. So spielt sie ganz allein für mich im Reichenauer Münster die romantische Etüde „Trost“ von Ernesto Köhler. „Das finde ich momentan ganz passend“, meint sie.
Ihre Gesangsausbildung hat Ines bei der Opernsängerin Ruth Frenk in Konstanz absolviert. Sie war schon schwanger, als sie die Pamina in der Zauberflöte singen durfte.
Und dann kamen die Nebelkrähen! Das Trio hat Ines zusammen mit Juliane Epp und Roswitha Graf gegründet. 12 Jahre lang haben die drei Damen a capella oder mit dem UHO Musik gemacht, bei Konzerten, Geburtstagen und anderen Gelegenheiten. „Wir hatten ein großes Repertoire und haben jeweils passende Lieder und Kostüme ausgesucht.“
Erst vor 5 Jahren haben die Damen als Trio aufgehört. Seitdem singt Ines im Talvella-Quartett.
Doch bei Ruth Frenk hat sie nicht nur singen gelernt, die Gesangslehrerin hat auch Bühnenarbeit mit ihr gemacht. Hier trafen die beiden Leidenschaften von Ines Happle-Lung – Musik und Politik – zusammen. Denn vor den Gemeinderatssitzungen war Ines anfangs so nervös wie bei einem Bühnenauftritt. Ruth gab ihr dafür klare Anweisungen: „Wenn du in den Ratssaal gehst: Klinke runter, tief Luft holen – und ab auf die Bühne!“ Das ist im Gemeinderat 30 Jahre und im Kreisrat 20 Jahre lang mehr als gut gegangen!
Und so stellt sich Ines Happle-Lung ihre Insel Reichenau in 50 Jahren vor:
Als Ines sich den Blogbeitrag angeschaut hatte, lautete ihr Fazit: „Das Leben hat es immer gut mit mir gemeint!“ Dem kann man nur zustimmen!