Im Münster Sankt Maria und Markus steht an der linken Seitenwand des Vorchores in einer ausgemalten Nische meine Lieblingsmadonna. Sie ist etwa lebensgroß, aus Sandstein gemeißelt.
Entstanden ist sie wohl im 14. Jahrhundert, in der Zeit der Hochgotik. Auf dem linken Arm trägt sie das Jesuskind, in der rechten Hand hält sie mit eleganter Geste ihrer langen, schmalen Finger ein goldenes Zepter. Das Kind wiederum trägt eine goldene Kugel mit einem schlichten Kreuz in der linken Hand. Zepter und Reichsapfel – die Herrschaftssymbole wirken hier fast wie Spielzeuge.
Der unbekannte Künstler hat die Madonna aus einem Block des hier am Bodensee typischen Rorschacher Sandsteins geformt. Sie hat eine leichte S-Form.
Marias Gesicht ist fein gestaltet, der Mund klein, die Nase gerade, die Augen geöffnet. Sie schaut nicht ihr Kind an, sondern den Betrachter. Ein kleiner Schleier bedeckt die gescheitelten Haare über der hohen Stirn, die damals bei den feinen Damen Mode war, und fällt über ihre Schultern und das Dekolleté. Ihr Gesichtausdruck ist verhalten.
Ihr Mantel fällt von der rechten Schulter und wird zur linken wieder hochgezogen, wobei die Ecke überschlagen nach unten fällt.
So bleibt der Blick frei auf das Untergewand, das von einem Gürtel gehalten wird. Auf dem Gürtel ist ein kleines Kreuz appliziert, das eine ähnliche Form wie auf dem goldenen Apfel hat – eine Vorwegnahme des Kreuzestodes Jesu.
Der Mantel fällt in weichen Falten zu Boden. Nicht umsonst wird dieser Stil der „weiche Stil“ genannt.
Die Falten des Mantels heben das rechte Knie hervor und umspielen ihre modisch spitzen Schuhe, wobei der rechte Fuß seitlich hochgestellt ist, so als ob sie mitten im Gehen wäre. Eine Art Momentaufnahme also.
Obwohl Mutter und Kind sich nicht anschauen, haben die beiden ein inniges Verhältnis. Das Kind sitzt auf dem Arm der Mutter, ihre schmale Hand gibt dem Kleinen Sicherheit und Stütze. Am Unterarm erkennt man auch noch das Ende von Marias Mantel. Besonders reizend sind die Füßchen des kleinen Jesus.
Mit der rechten Hand hält Jesus sich am Schleier fest.
Der süße Junge mit den leicht abstehenden Ohren schaut aber nicht die Mama an.
Wenn man von der Seite auf die Nische schaut, dann erkennt man, dass er sich leicht von der Mutter wegbeugt. Jesus schaut neugierig ins Hauptschiff der Kirche, da wo die Gläubigen sitzen. Sein Blick ist wach und aufmerksam, den Mund umspielt ein kleines Lächeln.
„Schau Mama“, scheint er zu sagen, „es sind ganz viele Leute gekommen. Die Sabine und der Ernst und die Susanne und der Peter. Und die Monika ist auch da!“