Ich liebe Friedhöfe, vor allem Parkfriedhöfe mit alten Bäumen, die Schatten spenden und dem Besucher das Gefühl geben, dass diese grünen Wächter schon den Toten vergangener Jahrhunderte das letzte Geleit gaben. Egal ob in Wien, Mailand oder Venedig, die großen Friedhöfe mit den alten Familiengräbern und den ausführlichen Inschriften sind mir immer einen Besuch (oder auch mehrere) wert.
Die Worte und Bilder auf den Grabsteinen erzählen Geschichten oder zumindest den Anfang einer Geschichte, die ich mir selber weiter ausmalen kann.
Aber auch bei uns gibt es wunderbare, verwunschene Friedhöfe. Einige davon möchte hier ich in einer losen Serie vorstellen.
Maria Hof in Neudingen
Wenn man mit dem Zug vom Bodensee in den Schwarzwald fährt, dann sieht man etwa zehn Kilometer vor Donaueschingen auf der linken Seite für einen Moment hinter den Bäumen eine große Kuppel aufragen. Rechts liegt die Donau, links kommt das Dörfchen Neudingen, und man fragt sich, zu welch monumentalem Bau diese Kuppel wohl gehören mag.
Wir wollten der Sache auf den Grund und haben dabei einen Ort gefunden, der wie aus der Zeit gefallen scheint. Am Rande des Bauerndorfs Neudingen, das 700 Einwohner hat und inzwischen zu Donaueschingen gehört, liegt auf einem Hügel ein Parkfriedhof. Bis heute kann man einen Teil seiner außerordentlich bewegten Geschichte bei einem Spaziergang kennenlernen.
Bereits im 9. Jahrhundert gab es an dieser Stelle eine karolingische Kaiserpfalz, von der aus die Baar regiert wurde. Kaiser Karl III, genannt der Dicke, verbrachte sein letztes Lebensjahr hier und starb im Januar 888. Sein Leichnam wurde auf die Insel Reichenau gebracht, wo sich im Chor des Münsters jetzt noch sein Grab befindet.
Seit dem 13. Jahrhundert befand sich auf dem Hügel in Neudingen ein Frauenkloster. Der Bischof von Konstanz übergab den frommen Frauen 1274 den Ort mit einer Kapelle und löste sie von der Pfarrkirche Neudingen ab. Bis zur Reformation lebten hier Dominikanerinnen, danach Zisterzienserinnen. Es war das Hauskloster der Fürstenberger, die die Klosterkirche als Grablege benutzten. Nach der Säkularisierung 1802 gingen die Klostergebäude in den Besitz der Fürstenberger über und wurden zu verschiedenen Zwecken genutzt, bevor sie einschließlich Kirche 1852 abbrannten.
Ab 1853 ließ Fürst Karl Egon II. von Fürstenberg die jetzige Kirche errichten, einen Zentralbau im Renaissancestil mit der besagten hohen Kuppel und einer Gruft für die Mitglieder der Familie. Die Kirche wird daher im Volksmund die Gruftkirche genannt.
Das Gotteshaus ist für Besucher nicht zugänglich. Die Eingangstreppe macht auch einen leicht verfallenden Eindruck, das Geländer wackelt, und der rückwärtige Eingang ist gleich ganz zugemauert.
Die noch übrigen Klostergebäude wurden nach und nach abgerissen und ein 3 Hektar großer Park angelegt, der offiziell als Friedhof deklariert ist. Gleich nach dem Ortseingang von Neudingen (wenn man mit dem Auto von Geisingen kommt) befindet sich rechts ein großes schmiedeeisernes Tor.
Erstaunlicherweise hat der Parkfriedhof eine Hausnummer:
Links daneben ist das Törchen, durch das Spaziergänger den Park betreten können. Sehr höflich wird man gebeten, diese Türe wieder zu schließen,.
Dann betritt man einen verwunschenen Ort. Alte Bäume stehen um die Kirche und beschatten Gräber, die über das Gelände verteilt sind. Es sind typische Parkbäume des 19. Jahrhunderts: Neben Eichen und Buchen, Birken und Kiefern finden sich auch Eiben, Zypressen und uralte Thuja, Lebensbäume. Welch schönes Symbol auf einem Friedhof!
Es sind nur Angehörige der Fürstenberger oder ihrer Mitarbeiter hier begraben. Die Bewohner von Neudingen haben ja eine eigene Kirche und einen eigenen Friedhof.
Dies ist das Grab einer Prinzessin neben einer Eibe und einem alten Lebensbaum, umrahmt von Buchs.
Bei diesem Fürstenberger-Grab lädt eine Kniebank zur Andacht im Freien ein.
Der Weihwasserkessel am Grab ist mit Rosen geschmückt und von Eichenblättern gesäumt.
Unter einer mächtigen Eiche liegt ein weiteres Fürstenberger-Grab.
Hier hat jemand Ehrenkränze für die Verstorbenen abgelegt.
Das schmiedeeiserne Grabkreuz scheint älter zu sein als die Grabplatte. Es zeigt die sogenannte Deesis: Christus am Kreuz mit Maria und Johannes. Neben der Christusfigur sitzen zwei trauernde Engel, darüber erkennt man das Dreieck der göttlichen Dreifaltigkeit.
Maria und Johannes sind in barocker Manier auf Blechtafeln gemalt.
Die Christusfigur hingegen ist eine moderne Zutat, aus Blech geschmiedet und vergoldet. Sie sieht ein bisschen seltsam aus, so als ob der Künstler es eilig gehabt hätte. Kein Wunder zieht Johannes so fragend die Augenbraue hoch: Wie sieht der denn aus?
Geht man um die Kirche herum an die Westseite des Parks, findet man eine Reihe Gräber von Bediensteten.
Zum Beispiel von Stallmeister Howe, der 1925 gestorben ist.
Bei anderen Gräbern sind die Inschriften kaum mehr zu entziffern.
Der Park hat etwas morbid Schönes, das man sonst nur aus südlichen Ländern kennt. Das Gebäude neben der Kirche ist dem Verfall preisgegeben. Es ist das ehemalige Haus des Kaplans, der die Nonnen seelsorgerisch betreute, das einzige Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das beim Klosterbrand stehengeblieben ist. Nun holt es sich die Natur zurück.
Die Mauer, die den Friedhof umgibt, wurde mit den Steinen des Klosters errichtet, das 1852 abgebrannt ist. Sie hat viele Lücken, gewollte und ungewollte.
Hier das Törchen, das zum Dorf führt.
Auf der gegenüberliegenden Seite gibt es ebenfalls ein Tor, durch das man an die Donau hinabgehen kann.
Die kleine Aussichtskanzel gewährt einen weiten Blick ins Tal.
Hier sieht man die Bahnlinie auf einem Damm zwischen der Donau (hinten) und dem Gewerbekanal (vorne), der bei Neudingen abgeleitet wurde, um eine Mühle zu betreiben. Im Hintergrund der Wartenberg. Wenn man diese Stelle mit dem Zug passiert, sieht man die Kuppel der Gruftkirche.
Doch nicht jeder Ausblick ins Tal ist gewollt. An mehreren Stellen ist die Mauer Richtung Donau eingebrochen, vielleicht wegen des Abhangs, vielleicht wegen Bäume, die durch den Sturm gefällt wurden.
Auch hier kann man einen Blick ins Tal riskieren, aber mit Vorsicht.
Der Friedhofspark Maria Hof ist wenig besucht, und nach dem Wunsch der Familie Fürstenberg soll das auch so bleiben. Um Stille und würdiges Verhalten wird schon am Eingang gebeten, um die Totenruhe nicht zu stören.
Doch nicht alle halten sich daran, denn dieser Park ist trotz allem auch ein Ort des Lebens. Er ist ein Vogelparadies! Jede Menge Singvögel zwitschern und trällern, Falken und Milane stoßen ihre schrillen Schreie aus und Kormorane rufen heiser wie Fasnachtsrätschen. Letztere haben den Friedhof zu ihrem Brutplatz erkoren.
Ist ja auch nicht schlecht: Ein ruhiger Ort zum Brüten, und die Donau gleich nebenan für die Versorgung mit Fisch. Was will man mehr!
Und dann hört man plötzlich noch einen anderen Laut, den man zunächst nicht verorten kann: Storchengeklapper! Ein Blick über die Mauer zeigt: Dahinter liegt Richtung Westen das Dorf Neudingen. Man sieht vom Park aus nur den Glockenturm der barocken Pfarrkirche Sankt Andreas.
Aber wenn man durch das Dorf mit den schönen alten Bauernhäusern spaziert, entdeckt man auf vielen Dächern Storchennester. Dafür verantwortlich ist der Neudinger Friedrich Widmann, der auch der Storchenvater genannt wird. Er hat seit den 90er Jahren dafür gesorgt, dass die großen schwarz-weißen Vögel in der Region wieder brüten. Und zwar mit großem Erfolg!
Er hält Ausschau nach seiner Holden.
Zum Schluss noch zwei Tipps: Beim Konstanzer Hartung Gorre Verlag sind zwei interessante Bücher des Historikers Rüdiger Schell über das ehemalige Kloster Maria Hof erschienen (http://www.hartung-gorre.de).
Und wer Neudingen besucht, sollte sich anschließend unbedingt bei einem der zahlreichen Hofläden der Region mit Wurst, Käse und frischem Bauernbrot eindecken. Es lohnt sich!