Zur Zeit gibt es viele Debatten über Rassismus im Alltag. Das ist richtig und notwendig, denn oft sind wir uns der rassistischen Darstellungen gar nicht bewusst. Ein Objekt wird hier allerdings zu Unrecht gerügt: Der schwarze König Melchior in der Weihnachtskrippe.
Die Debatte wurde erst kürzlich wieder angefacht durch den Entschluss der evangelischen Kirchengemeinde Ulm, die Heiligen Drei Könige dieses Jahr in der Weihnachtskrippe nicht mehr aufzustellen. Die betreffenden Krippenfiguren stammen vom Ulmer Bildhauer Martin Scheible (1873 – 1954), und was auch immer den Künstler geritten hat, diesen Melchior sollte man meines Erachtens tatsächlich nicht mehr zeigen. Aber weniger aus rassistischen, sondern vor allem aus ästhetischen Gründen!
Selten habe ich eine so hässliche Figur gesehen, und natürlich stellt sich die Frage, ob der Künstler den schwarzen König aus rassistischen Motiven so abstoßend gestaltet hat. Allerdings sieht der Esel im Hintergrund aus wie ein Dinosaurier und der König rechts wie der Räuber Hotzenplotz, der der Großmutter die Kaffeemühle gestohlen hat. Man sollte also vielleicht eher nach den künstlerischen Vorstellungen und Fähigkeiten des Bildhauers im Allgemeinen fragen und vielleicht noch danach, warum diese Krippenfiguren überhaupt jemals aufgestellt wurden.
Dass die Darstellung Melchiors als Afrikaner nicht grundsätzlich rassistisch zu bewerten ist, zeigt ein Beispiel auf der Insel Reichenau. Im Münster befinden sich acht Fenster, die 1556 in den gotischen Chor eingebaut worden waren. Bei der Restaurierung in den 60er Jahren wurden sie durch moderne Fenster ersetzt und in die Schatzkammer gebracht, wo man sie heute bewundern kann.
In diesen Scheiben sind zwei Szenen aus dem Leben Mariens dargestellt, der ja das Münster geweiht ist: die Verkündigung durch den Erzengel Gabriel und die Anbetung der Heiligen Drei Könige. Oben rechts und links stehen die Gründerväter des Klosters Reichenau: die Heiligen Pirmin und Benedikt, unten rechts das Wappen der Reichenau mit Mitra und „Ombrellino“, dem Symbol der direkten Unterstellung unter den Papst.
Die Heiligen Drei Könige sind in den beiden Scheiben unten links dargestellt, Balthasar und Caspar gemeinsam im zweiten Fenster, beide in reichen Gewändern und mit wertvollen Geschenken in der Hand, der eine kniend, der andere stehend.
Für Melchior hingegen ist eine komplette Scheibe reserviert. Er steht im linken Fenster, ebenfalls in ein teures Gewand des 16. Jahrhunderts gehüllt, behängt mit goldenen Ketten und einem reichverzierten Gürtel. Auch der Knauf seines Schwertes scheint aus Gold zu sein. In der rechten Hand trägt er seine Kopfbedeckung, mit der linken Hand präsentiert er ein Weihrauchschiffchen in Form eines Füllhorns.
Haare und Hautfarbe kennzeichnen ihn eindeutig als Afrikaner, und genau das war auch Sinn der Sache. Seit dem späten Mittelalter wurden die Heiligen Drei Könige als Vertreter der drei damals bekannten Erdteile gesehen: Europa, Asien und Afrika.
Darüber hinaus wurden die drei auch in unterschiedlichen Altern dargestellt: Melchior jugendlich, Balthasar im reifen Mannesalter und Kaspar als alter Mann. Unser Melchior ist ein gutaussehender Jüngling, mit modischem Backenbart und Ohrring, der mit großen Augen auf Maria und das Kind schaut. Seine Kollegen wirken deutlich älter, Caspar hat eine Glatze und sein Bart ist grau.
Aber der schwarze König steht auf der Reichenau nicht nur für einen Erdteil und ein Menschenalter, sondern er ist auch der Namenspatron des Stifters Melchior von Bubenhofen, dessen Wappen links oben im Fenster zu sehen ist. Der Konstanzer Domherr hatte diese Scheiben bezahlt und „seinen“ Heiligen besonders prominent in eigenem Fenster darstellen lassen.
Der Reichenauer Melchior ist also keinesfalls rassistisch zu deuten, ganz im Gegenteil, der schwarze König steht nicht nur auf Augenhöhe mit den anderen, sondern ist von den dreien die wichtigste Repräsentationsfigur.
Kleiner kunsthistorischer Exkurs
Übrigens sind die Heiligen Drei Könige an sich eine Erfindung des Mittelalters, in der Bibel ist im Matthäus-Evangelium je nach Übersetzung nur von „Magiern/Sterndeutern aus dem Osten“ (Mt. 2) die Rede. Noch im 6. Jahrhundert werden sie in Ravenna als persische Sterndeuter mit phrygischen Mützen dargestellt. Allerdings haben sie bereits Namen bekommen, und auch die drei Lebensalter sind zu erkennen. Der junge Melchior trägt auch hier das Weihrauchschiffchen. Es ist immer Caspar, der älteste der drei, der als erster Maria und dem Kind seine Gaben überreichen darf.
Erst seit dem hohen Mittelalter werden die Magier als Könige bezeichnet und auch so dargestellt. Der Legende nach soll die heilige Helena, die Mutter von Kaiser Konstantin, die Gebeine der Könige im 4. Jahrhundert in Palästina gefunden und nach Mailand gebracht haben. Dort hat Friedrich Barbarossa sie nach der Eroberung Mailands 1162 mitgehen lassen und dem Kölner Erzbischof Rainald von Dassel geschenkt. Seitdem befinden sie sich im Kölner Dom. Umberto Eco hat diese Episode in seinem Roman „Baudolino“ hinreißend beschrieben.
In der spätmittelalterlichen Malerei erkennt man die Königskronen und die drei Lebensalter, allerdings ist der junge König noch nicht schwarz dargestellt. Hier ein Beispiel von Giotto in der Scrovegnikapelle in Padua 1303:
Meine Lieblingsdarstellung der Heiligen Drei Könige stammt von Pietro Vanucci, genannt Perugino (1448 – 1523). Es ist eines seiner frühen Werke, und was mich daran besonders fasziniert hat – neben der Landschaft und den schönen Details – ist das Spiel der Blicke.
Spiel der Blicke
Ganz am linken Bildrand steht der Maler, der uns direkt anblickt. Neben ihm der junge König Melchior, hier noch weiß. Er schaut keck über das Jesuskind hinweg, auf die hübsche jugendliche Maria. Dann folgen drei Figuren, die wohl Porträts sind; zwei verfolgen das Geschehen, einer wendet sich dem Betrachter zu. Der nächste ist König Balthasar. Er hat sich an Melchior gewandt und schaut ihn vorwurfsvoll an. „Sag mal, wo guckst du denn hin?“ scheint sein Blick zu sagen. Der kniende König Caspar lässt sich zwar von Jesus segnen, sein Blick geht aber am Kind vorbei zu Joseph, der am rechten Bildrand steht, müde auf seinen Stock gestützt. Die beiden Figuren wirken in Alter und Kahlheit fast wie Spiegelbilder. Ihre Blicke treffen sich, in stummem Einverständnis, als ob sie sich gegenseitig ihr Leid über die ungestüme Jugend klagen wollten. Einzig Maria wirkt unschuldig und in sich gekehrt, fast unbeteiligt. Ein großartiges Bild, das ganz viele Geschichten erzählt!
Es ist diese Zeit, die frühe Renaissance, in der manche Maler beginnen, Melchior als schwarzen König darzustellen. Sie nehmen die Vorstellung ernst, dass er der Vertreter des Erdteils Afrika ist. Einer der ersten, der ihn so gemalt hat, ist Andrea Mantegna (1431 – 1506). Auch hier sieht man deutlich: Drei Erdteile, drei Lebensalter, aber keine Abwertung des schwarzen Königs.
Zum Abschluss ein Bild des größten deutschen Renaissancemalers Albrecht Dürer, das sich ebenfalls in den Uffizien befindet. Auch bei ihm steht der schwarze König Melchior seinen Kollegen an Ausstattung und Prunk nicht nach.
Nicht lange danach hat ein unbekannter Maler die Heiligen Drei Könige auf die Glasfenster des Reichenauer Münsters gemalt.