„Wenn es die Reichenau nicht gäbe, müsste man sie erfinden!“ sagt Lukas Hafner, „sie ist mein Ort!“
Lukas und seine Freunde
Der 25Jährige ist auf der Insel aufgewachsen und fühlt sich hier fest verwurzelt. Hier ist er zur Schule gegangen, hier hat er seine Freunde, mit denen er auch mal in die Berge zum Wandern geht oder einfach am See abhängt, auch bei schlechtem Wetter.
Lukas liebt die Reichenauer Traditionen wie Fasnacht und Weinfest.
Lukas und die Familie
Was ihn vor allem an die Insel bindet, ist seine Familie. Sie ist ihm enorm wichtig. Lukas stammt aus einer alteingesessenen Reichenauer Sippe, jedenfalls mütterlicherseits. Väterlicherseits ist die Großmutter zugezogen, hat als Magd im Bürgle in Niederzell gearbeitet. Dann hat sie einen Reichenauer geheiratet, der im Krieg gefallen ist. Die drei Kinder musste sie allein aufziehen, Lukas‘ Vater war der Jüngste. Er ist in Niederzell aufgewachsen, hat dann aber eine Mittelzellerin geheiratet, die aus der alten Reichenauer Familie Keller stammt. Sie haben vier Kinder, und Lukas ist der Jüngste.
Inzwischen gehören auch noch fünf Nichten und Neffen zur Großfamilie.
Vor 25 Jahren haben die Eltern einen Supermarkt auf der Insel eröffnet, den „Markant“. Inzwischen hat der älteste Sohn Johannes den Laden übernommen und in „Nahkauf“ umbenannt. Er wohnt über dem Geschäft. Auch Lukas‘ Schwester Alexandra arbeitet dort mit, sie macht das Büro. Wohnen tut sie in Oberzell, während die jüngere Schwester Katharina in Mittelzell ein Haus gebaut hat. Lukas wohnt mit den Eltern in der Seestraße. Alle auf der Reichenau geblieben also!
Regelmäßig kommt man zusammen und feiert die Feste, wie sie fallen, egal ob Fronleichnam oder Hochzeit.
Das ist es, was für Lukas die Insel ausmacht: Alles ist vertraut und nah, man trifft immer jemanden, den man kennt. Wie zum Beweis kommt während unseres Gesprächs Schwester Katharina mit ihrem jüngsten Sohn ins Café, um sich mit einer Freundin zu treffen. „Der kleine Fridolin ist unser Sonnenschein!“ sagt Lukas.
Lukas und das Lernen
Alles perfekt also auf der Reichenau? Nein, sagt Lukas, wie überall, wo Menschen eng zusammenleben und sich kennen, gibt es auch hier Getratsche und Neid. Doch das nimmt er in Kauf.
Trotz seiner Heimatverbundenheit kann man ihm aber nicht unterstellen, dass er nicht über den Inselrand hinausschauen würde. Zwar hat er Grund- und Hauptschule noch auf der Reichenau absolviert (was heute nicht mehr möglich ist, es gibt nur noch die Grundschule), doch anschließend ist er an die Wessenbergschule in Konstanz gegangen und hat in fünf Jahren das Abitur nachgeholt. Er ist das erste Mitglied der Familie mit Abitur!
Da er als Fremdsprache Spanisch gelernt hatte, wollte er nach dem Abi erst einmal auf Reisen gehen. Vier Monate hat er in Chile verbracht, wo er in Santiago im Rahmen eines sozialen Projekts Waisenkinder betreute. Nebenher hat er in einem Kurs seine Sprachkenntnisse verbessert und Gleichgesinnte kennengelernt, zu denen er bis heute den Kontakt pflegt.
Danach ging’s ans Studieren, auch hier als Erster der Familie. Zunächst hat Lukas in Ludwigsburg ein Duales Studium des Erzbischöflichen Ordinariats im Bereich Verwaltung begonnen. Das hatte den Vorteil, dass er während des Studiums schon etwas Geld verdienen und den praktischen Teil unter anderem bei der Gemeinde Reichenau absolvieren konnte.
Nur Verwaltung war Lukas am Ende aber doch zu trocken, dafür ist seine kreative Seite zu stark ausgeprägt. So hat er ein zweites Studium angehängt: Architektur an der HTWG Konstanz. Hier gibt es so spannende Arbeitsaufträge wie: „Tarne dich in natürlicher Umgebung!“ Lukas hat diese Aufgabe mit Bravour gelöst, wie man auf dem folgenden Foto sieht:
Lukas und die Kirche
Neben der Familie gibt es noch eine andere wichtige Institution, die das Leben von Lukas von Anfang an geprägt hat: die Kirche. Auch in deren Traditionen ist er tief verwurzelt. Das liegt wiederum an der Familie, dem Opa Hans, vor allem aber an der Mutter, die selbst religiös engagiert ist und ihre Kinder entsprechend erzogen hat. „Wir hatten eine sehr klare Erziehung“, sagt er, „aber die Balance zwischen Freiheit und Verpflichtung war im Gleichgewicht. Es war nie ein Muss, nur ein Rahmen.“ Gleichzeitig waren Großeltern, Eltern und Geschwister Vorbilder für den kleinen Lukas.
Wie alle seine Geschwister und Cousins wurde er nach der Erstkommunion Messdiener im Münster. Später hat er selber die jungen Ministranten angeleitet, eine Aufgabe, die ihm bis heute Spaß macht.
Auf die Frage, was ihm der Glaube bedeutet, gibt Lukas eine vielschichtige Antwort. Zum einen findet er darin Halt bei Zweifeln in seinem Leben. „Mit meiner persönlichen Gottesbeziehung habe ich noch nie schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt er. Man müsse aber auch unterscheiden zwischen persönlichem Glauben und sozialem Engagement. Auch der zweite Aspekt kommt bei ihm nicht zu kurz. So hat er sich in den Pfarrgemeinderat wählen lassen, und wenn es im Münster irgendwo klemmt, springt er ein. Er kennt sich ja gut aus.
Darüberhinaus findet er die Glaubensvermittlung der katholischen Kirche mit ihren Ritualen und Zeichen sinnlich und sinnvoll. „Heute meditiert man oder macht Yoga, die Katholiken haben das traditionell immer schon gemacht, zum Beispiel beim Rosenkranz.“ Ihn interessiert, was hinter den Zeichen steckt. Für Lukas sind sie Bilder, die die Menschen im Glauben bestärken sollen, symbolhaft und kreativ.
Lukas und die Kunst
Hier setzt er mit seiner eigenen Kreativität an. Er gestaltet unter anderem den Internetauftritt der Reichenauer Kirchen, auf Facebook und Instagram.
Als angesichts der Corona-Pandemie dieses Jahr die Fronleichnamsprozession abgesagt wurde, diskutierte der Pfarrgemeinderat darüber, wie man die Heilig-Blut-Reliquie trotzdem adäquat präsentieren könnte. „Mach mal was!“ sagte Pater Stephan zu Lukas, und der machte. Da der Gottesdienst im Freien stattfinden sollte, gestaltete er ein Kreuz aus Holz, das genau 50mal so groß ist wie das byzantinische Abtskreuz der Reliquie. Mit der Motorsäge hat Lukas Christus als Relief ausgesägt, wobei ihm wiederum der Christus der Reliquie als Vorlage diente.
Die Fläche wurde rot angemalt wie beim Heilig-Blut-Altar, die Linien der Figur golden abgesetzt.
Doch das war nicht gut sichtbar, also hat Lukas sie mit schwarzer Farbe nochmal nachgezogen.
„Er ist ein solcher Perfektionist!“ sagt seine Schwester kopfschüttelnd am Nebentisch, und Lukas gibt zu, dass es ihm keine Ruhe lässt, wenn etwas nicht perfekt passt.
Die andere Seite des Kreuzes hat er in der liturgischen Farbe Weiß gestaltet, mit einer großen Hostie in der Mitte. Wenn die Monstranz vor dem Kreuz aufgestellt wird, befindet sich deren Hostie genau in der Mitte seiner ausgesägten Hostie. Das Kreuz kann dadurch an normalen Sonntagen ebenso benutzt werden wie am Heilig-Blut-Fest.
Aber Lukas schnitzt nicht nur im Auftrag der Kirche, sondern auch für sich selber. So hat er aus alten Baumstämmen den Hl. Pirmin einschließlich Bischofsstab und Schlange sowie die Muttergottes gestaltet.
Seine handwerklichen Fähigkeiten sind erstaunlich. Bescheiden sagt er: „Das hab ich mir bei meinem Vater abgeschaut. Er ist Hobby-Heimwerker pur, und es gibt nichts, was er nicht kann.“
Auch mit Lichtkunst hat Lukas sich beschäftigt. So ist er verantwortlich für die Illuminierung des Münsters am Gründonnerstag im gotischen Chor und am Karfreitag beim Kreuzweg.
Eine andere Möglichkeit, seine künstlerische mit der religiösen Seite zu verbinden, ist der Blumenteppich an Fronleichnam. Für die Gestaltung der zweiten Prozessionsstation an der Ergat war schon früher seine Familie zuständig, aber seit 2012 hat Lukas die Regie übernommen. Er wählt das Motiv aus, von einem kleinen Andachtsbildchen, und zeichnet es auf Papier in der Größe 3 mal 5 Meter nach. Die mannshohen Papierrollen dafür bekommt er beim Südkurier.
Die Farben werden bestimmt, und zwei Tage vorher sind die Kinder der Familie auf der Insel unterwegs. Sie klingeln an den Häusern und bitten um passende Blumenspenden. Vor allem die Gärtner Deggelmann und Haselberger liefern reichlich Blüten, die dann von den Kindern abgezupft werden.
„Die schwierigste Arbeit sind Gesichter und Hände“, sagt Lukas. Für die Hautfarbe benutzt man Sägemehl, das aber schon am Tag vorher festgeklebt und nun eingefügt wird. Dann ist alles bereit für die Prozession.
Am Fronleichnamstag geht es morgens um 5 Uhr los. Die Männer bauen den Altar auf, die Frauen gestalten das Bild. Erst werden die Konturen mit Torf gelegt, dann kommen die Blüten dazwischen. So entsteht ein ganzer Teppich aus Blumen. Das Motiv 2019: Christus mit den Jüngern auf dem See Genezareth.
Lukas und die Musik
Aber es gibt noch etwas anderes, was ihn mit der Kirche verbindet: die Musik. Auch hier ist die Familie Vorbild: Die Mutter singt im Münsterchor, Schwester Katharina spielt im Münsterorchester Cello, Schwester Alexandra Geige. Sein Bruder Johannes war lange Zeit Oberministrant und ist dann ebenfalls in den Münsterchor eingetreten. Schon als kleiner Junge war Lukas immer dabei, wenn im Münster Musik gemacht wurde, wenn der Chor sang oder das Orchester spielte. Er saß ganz vorne im Chorgestühl und hörte andächtig zu.
Was ihn am allermeisten beeindruckt hat, war „das Gebrause der Orgel“. Schon als Kind war für ihn klar: „Ich will auf die Orgel!“ Mit 12 Jahren hat er angefangen Klavier zu spielen. Der ehemalige Münsterorganist Roland Uhl hat ihn dann zur Orgel gebracht. Wegen seines Studiums und des sonstigen Engagements hat Lukas zwar nicht so viel Zeit zum Üben, wie ihm lieb wäre, aber ein paar Stücke hat er schon gelernt und im Gottesdienst gespielt.
Bei so viel Nähe zur Kirche – wäre es da nicht eine Option, Priester oder Mönch zu werden? Lukas wehrt ab. Das wäre ihm ein viel zu strenger Rahmen, er braucht seine Freiheit. Außerdem ist er ein Familienmensch und gesellig. Wie schon sein Großvater möchte er eine Familie gründen – natürlich auf der Reichenau.
Die richtige Frau hat er zwar noch nicht gefunden, aber die Namen für seine Kinder hat er schon ausgesucht. Die werden aber nicht verraten!