Maien-Königinnen

Wieder ist es Mai geworden, wieder unter Corona-Bedingungen. Singen von Marienliedern: Fehlanzeige, höchstens privat und allein. Letztes Jahr hatten Ines Happle-Lung, Matthias Graf und Armin Okle für mich ein wunderschönes Lied in der Kirche St. Peter und Paul vor der dortigen Madonna aufgenommen (siehe Beitrag „Singen im Mai“).

Maria als Himmelskönigin in St. Peter und Paul

Aber es gibt noch mehr Marien auf der Reichenau. Über die wunderbare gotische Madonnenfigur im Münster, der eigentlichen Marienkirche der Insel, habe ich bereits im Beitrag „Das neugierige Jesuskind“ berichtet.

Heute möchte ich zwei Himmelsköniginnen aus St. Georg vorstellen.

Im linken Seitenschiff steht auf einem hohen Sandsteinpodest eine Madonna mit Kind aus dem 17. Jahrhundert. Sie ist eine echte Königin, mit Krone und Zepter, das sie zart in den Fingern balanciert. Ihre Gewänder sind prächtig mit Gold ausgestattet, der Mantel leuchtet im typischen Blau. Die Farbfassung stammt allerdings aus dem 19. Jahrhundert. Trotzdem kommt einem sofort das Marienlied „Wunderschön Prächtige“ von Laurentius von Schnüffis in den Sinn.

Diese Madonna stand früher wohl auf dem Hauptaltar der Kirche, später wurde sie an den linken Seitenaltar verbannt, heute betrachtet sie die Gläubigen huldvoll vom Seitenschiff aus.

Der barocke Hochaltar in St. Georg vor 1868 mit der Madonna im Zentrum
(Foto aus: Dörthe Jakobs, St. Georg in Reichenau-Oberzell)

Die Figur wurde als Himmelskönigin dafür geschaffen, von hoher Warte auf die Gläubigen herabzuschauen, und auch das Jesuskind, das in eine einfache weiße Windel gewickelt ist und keinerlei Herrschaftsinsignien trägt, scheint uns von oben zuzuwinken. Schaut man genauer hin, sieht man, dass die kleine, erhobene Hand einen Segensgestus zeigt.

Die beiden sind in Bewegung, das Kind hält sich mit der linken Hand an der Mutter fest, während es sich den Gläubigen zuwendet, Maria trägt es mit elegantem Hüftschwung.

Ganz anders die zweite Maienkönigin, die wir jetzt im Marienmonat in St. Georg sehen können (normalerweise steht sie in der Alten Sakristei). Sie wirkt fast gotisch, stammt aber wohl aus dem 19. Jahrhundert. Vermutlich ersetzte sie tatsächlich eine ältere gotische Figur, die bei Prozessionen mitgeführt wurde. Auch sie trägt Zepter und Krone und einen prächtigen Mantel, außen vergoldet mit blauem Futter. Wie bei den anderen Figuren ist das Unterkleid rot, was der frühesten Tradition entspricht (die römischen Matronen trugen rote Kleider). Doch welch ein Unterschied zur sinnlich-barocken Madonna im Seitenschiff! Die neugotische Muttergottes wirkt völlig statisch, in sich ruhend, auch das Kind sitzt ruhig auf ihrem Arm.

Es hat einen angedeuteten Heiligenschein aus goldenen Strahlen, trägt ein silbernes Gewand und in der linken Hand die Weltkugel. Mit der Rechten segnet es die Gläubigen.

Zu den so unterschiedlichen Maienköniginnen passt natürlich das Lied „Salve Regina“, das mit großer Wahrscheinlichkeit im 11. Jahrhundert vom Reichenauer Mönch Hermannus Contractus, Hermann dem Lahmen, geschrieben wurde. Ines Happle-Lung und Matthias Graf singen es für uns in der Kirche St. Peter und Paul.

Ines Happle-Lung und Matthias Graf singen das „Salve Regina“

Salve, Regina, mater misericordiae,
vita, dulcedo, et spes nostra, salve.
Ad te clamamus exsules filii Evae.
Ad te suspiramus,
gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eia, ergo, advocata nostra,
illos tuos misericordes oculos ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui,
nobis post hoc exsilium ostende.
O clemens, O pia, O dulcis 
Virgo Maria. Amen.

Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit,
unser Leben, uns're Wonne und uns're Hoffnung, sei gegrüßt.
Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas,
zu dir seufzen wir
trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen.
Wohlan denn, uns're Fürsprecherin,
wende deine barmherzigen Augen uns zu,
und nach diesem Elend zeige uns Jesus,
die gebenedeite Frucht deines Leibes.
O gütige, o milde, o süße
Jungfrau Maria.