Diese Rubrik heißt Katzen-Komödie, und Komödien haben die Eigenschaft, dass sie gut ausgehen, im Gegensatz zur Tragödie, in der am Ende alle tot sind. In diesem Sinne haben wir diesen Sommer eine Komödie erlebt. Sie handelt von Hannibal, unserem wunderbaren, liebenswerten Main-Coon-Kater.
Unseren Sommerurlaub verbrachten wir dieses Jahr auf Fehmarn, der Ostseeinsel. Wingfoilen, schwimmen in der Ostsee, Vögel beobachten, Rad fahren entlang der Dämme mit Blick aufs Meer, viel schlafen und gut essen – Erholung pur! Die hatten wir auch dringend nötig nach einem sehr arbeitsreichen Jahr.
Doch schon am zweiten Tag kam die schreckliche Nachricht von Vivien, die während des Urlaubs in unserer Wohnung lebte und sowohl Katzen als auch Pflanzen versorgte: Hannibal ist weg!
Unsere Katzen sind ja keine Freigänger, sie haben eine große Wohnung und mehrere Balkone als Revier zur Verfügung. So können sie Vögel beobachten, ohne sie zu gefährden, und sie selber sind auch nicht gefährdet durch Autos, Gift oder katzenliebende Touristen, die ein so schönes, vermeintlich herrenloses Tier mitnehmen könnten.
Obwohl die Balkon nicht wirklich „katzensicher“ sind, haben sie nie versucht, hinabzuspringen.
Ihre Kletterkünste üben sie an diversen Kratzbäumen.
Sie sind sehr eng mit „ihren“ Menschen, also uns verbunden, und wir mit ihnen.
Doch nun hatte es einen heftigen Sturm mit Gewitter gegeben.
Hannibal befand sich auf der Terrasse und sprang offenbar vor Schreck – vielleicht von einem Donner ausgelöst – auf das daneben liegende Dach. Auf den regennassen Ziegeln rutschte er nach unten und landete auf der Wiese. Zum Glück!
Vivien versuchte ihn wieder einzufangen, doch der erschrockene Kater biss sie heftig in die Hand und lief davon. Immerhin war klar, dass er nicht schwer verletzt war und noch gut laufen konnte.
Nun begann eine große Suchaktion. Anfangs hatten wir noch gehofft, dass er in spätestens zwei Tagen wieder zu Hause sein würde, doch irgendwann wurde klar, dass es nicht so einfach war. Wir überlegten, den Urlaub abzubrechen, doch Vivien, Freunde und Nachbarn versuchten alles, was möglich war. Sie versicherten uns, dass wir auch nicht mehr tun könnten als sie.
Eine Tierkommunikatorin wurde eingeschaltet, die irgendetwas von einem Gebüsch schrieb. Also suchte man mit Paddeln das Gebüsch rund um das Haus ab. Ein Suchtrupp schwärmte aus, um den Kater zu finden. Doch der scheue Kerl reagierte auf kein Rufen und kein Locken. Auf Facebook und in Internet-Chats veröffentlichten wir Fotos von Hannibal mit der Bitte, uns Bescheid zu geben, wenn man ihn gesehen hatte. Mit einem meiner Nachthemden versuchte man, eine Duftspur zur offen gehaltenen Haustür zu legen. Doch er hat wohl nicht kapiert, dass dies der Heimweg war.
Hannibal wurde beim Tierschutzverein registriert und per „Findefix“ gesucht. Vivien und ihre Freundinnen druckten Plakate aus und pflasterten die Insel damit voll. Bäume, Scheunentüren, Geschäfte und Restaurants wurden mit seinem Konterfei bestückt.
Einige Meldungen trudelten ein, doch es handelte sich immer um falschen Alarm.
Bis zu unserer Rückkehr tauchte Hannibal nicht mehr auf. Wieder zu Hause verfielen wir ebenfalls in Aktionismus. Waren wir auf Fehmarn noch weit weg und guter Hoffnung gewesen, holte uns die Angst um unseren geliebten Kater nun ein. Alles in der Wohnung erinnerte an ihn, die Futternäpfe, der Trinkbrunnen, sein wunderbares Porträt von Lilo Michel. Immer glaubten wir, er müsse gleich um die Ecke biegen.
Eine Woche hatten wir noch Urlaub, und die verbrachten wir weitgehend damit, Hannibal zu suchen. Wir druckten und verteilten noch weitere Plakate. Schon am nächsten Tag meldete sich jemand, dem er angeblich zugelaufen war und der ihn in seiner Ferienwohnung eingeschlossen hatte. Vorsichtig glücklich baten wir ihn, Fotos zu schicken, bevor wir uns mit Korb und Leckerli bewaffnet auf den Weg machten.
Die eingefangene Katze sah Hannibal tatsächlich ähnlich, aber eben auch nicht mehr. Dann lassen wir sie halt wieder frei, meinte enttäuscht der Anrufer. Bitte tun Sie das! lautete unsere noch enttäuschtere Antwort. Wir wollen ja nicht, dass andere Katzenbesitzer Ähnliches durchmachen müssen wie wir.
Dann gaben wir eine Anzeige im Südkurier und Konstanzer Anzeiger auf. Viele Leute lasen sie und meldeten sich, um uns ihr Bedauern auszudrücken, aber keiner hatte ihn gesehen.
Ich legte mein Telefon nicht mehr aus der Hand, immer in der Hoffnung, dass sich jemand mit der erlösenden Nachricht melden würde. Doch der verdammte Apparat wollte und wollte nicht läuten. Höchstens Freunde riefen an, um zu fragen, wie es stand. Phasen der Verzweiflung wechselten sich ab mit Zeiten der Hoffnung, doch je länger es dauerte, desto kürzer wurden Letztere. Wir malten uns aus, was passiert sein könnte: Jemand hat ihn mitgenommen. Das war noch eine relativ positive Option. Oder er ist von einem Hund totgebissen worden und der Hundebesitzer hat ihn entsorgt. Oder er wurde von einem Auto angefahren und liegt irgendwo im Straßengraben. Und am Schlimmsten: Er ist irgendwo eingesperrt und kann sich nicht mehr befreien, leidet Hunger und Durst. In einem Keller? Einem Schuppen? Einem Transformatorenhäuschen wie die verschwundene Katze in meinem Roman „Der arme schwarze Kater“?
Wir konnten nicht mehr schlafen, streiften sogar mitten in der Nacht über die Insel, mit Taschenlampe und Leckerli bewaffnet, um ihn zu rufen. Doch nur Igel verirrten sich in die Lichtkegel unserer Lampen.
Ich versuchte, nicht zu weinen, denn ich dachte: Wenn ich ihn beweine, heißt das, dass ich ihn aufgegeben habe. Ich weigere mich aber, aufzugeben. Die Angst blieb als dicker Kloß in meinem Magen stecken und schmerzte fortwährend.
Am letzten Freitag machte ich dann wieder einmal eine Runde durch Niederzell, ins Genslehorn, im Regen.
Ich läutete an Türen und schaute in Keller, Gewächshäuser und Schuppen. Die Menschen wussten Bescheid über die Suchaktion, manche luden mich zum Kaffee ein. Viele haben selber Katzen und konnten meine Verzweiflung nachvollziehen.
Auf dem Rückweg nach Hause ging ich den Uferweg entlang wie schon viele Male. Unentwegt rief ich nach ihm: Hannibal! Hanniballi!
Und dann kam plötzlich eine Antwort. Ich hörte ein leises Miauen aus einem großen Lagerschuppen, der zum Weg hin verschlossen war. Aber auf der anderen Seite war er offen, und als ich um ihn herumging, saß Hannibal da. Er schaute mich aufmerksam an. Ich rief ihn leise und begann mit ihm zu sprechen, und er antwortete wieder. Dann legte er sich hin.
Langsam und vorsichtig näherte ich mich, ging in die Knie und redete fortwährend auf ihn ein. Ich warf ihm Leckerlis hin, die er gierig fraß. Dann zog er sich ein Stück zurück in den Schuppen an eine Stelle, wo lauter Ballen mit Plastikfolie lagen. Dort legte er sich wieder hin. Ich setzte mich auf einen Ballen und wartete ab.
Ich versuchte schließlich, Hannibal mit Leckerli und Rufen hinter mir her nach Hause zu locken. Er folgte mir tatsächlich, aber immer nur bis zum Weg. Dann kamen Spaziergänger oder Jogger, und sofort zog er sich in den Schuppen zurück. Der liegt in Sichtweite zu unserem Haus, aber mir wurde nun klar, warum ihn trotzdem niemand gefunden hatte. Hannibal hatte viel zu viel Angst vor fremden Menschen, und in dem Gerümpel gab es viele Möglichkeiten für ihn, sich zu verstecken. Nur meine vertraute Stimme brachte ihn dazu, sich zu „outen“.
Nachdem ich mich noch eine Weile mit ihm unterhalten hatte, rief ich meinen Mann an. Er brachte einen Transportkorb und es gelang mir, Hannibal ohne größeren Widerstand hineinzubugsieren.
Wir brachten ihn nach Hause, wo er erst einmal alles beschnuppern musste. Er fraß und trank vor allem wie verrückt. Ich hatte geglaubt, dass er Wasser ja im See finden würde, aber vielleicht hat er sich dort gar nicht hin getraut. Nun ging er fast nicht mehr von seinem Trinkbrunnen weg.
Er war abgemagert, erschöpft und voller Kletten, aber überglücklich. Am nächsten Tag kam der Tierarzt und stellte fest, dass er sich beim Sturz wohl geprellt hatte, ansonsten aber in Ordnung war. Er bekam ein Schmerzmittel und etwas gegen Ungeziefer.
In der Nacht kam der Kater in unser Bett und kuschelte sich zwischen uns, wo er zunächst noch schnurrte, dann aber schnarchte, offenbar tief eingeschlafen. Draußen, wo alles fremd und unheimlich für ihn war, war er wohl immer in Hab-Acht-Stellung und hat bestimmt nicht richtig tief schlafen können. Nun holt er alles nach, schläft fast die ganze Zeit.
Hin und wieder sitzte er schon wieder auf dem Schreibtisch und assistiert mir bei der Arbeit.
Aber auch hier schläft er schnell ein.
Nach draußen zieht es ihn – zumindest vorläufig – nicht mehr.
Überglücklich waren wir den halben Sonntag mit dem Fahrrad auf der Insel unterwegs, um die Suchplakate wieder einzusammeln.
So geht mit einem großen Dank an alle HelferInnen und UnterstützerInnen diese Komödie zu Ende!